Samstag, 15. September 2018

Tango in Lewandiwka

🌸Eine französische Fassung dieses Textes habe ich am 29. August 2018 gepostet.

In der Menge, die ich beobachtete, fielen mir zwei Personen auf: Eine elegante und etwas verwelkte – oder zu dick geschminkte? – Frau, die ein Seidenkleid trug, das ihren Rücken entblößte, und ein Mann in einem hell-beigen Anzug, zu kokett für den Anlass. Inmitten von Frauen fortgeschrittenen Alters in Röcken, 7/8-Hosen und Sandalen saßen sie auf der Tribüne vor der Hauptbühne des Festivals in Lewandiwka. Diese war am Eingang des dortigen Jugendzentrums aufgebaut worden, das sich in einem ehemaligen sowjetischen, nun in nationalen Farben gestrichen, Kino befindet. Als ich sie fotografierte, wurde mir plötzlich klar: Die zwei exotischen Vögel waren die Tangolehrer, die im Programm, das ich gerade studiert hatte, angekündigt waren.

Mein Tango ist wie mein Polnisch: Ich bin nicht sonderlich gut, aber ich kann’s ein bisschen. Während meine Kolleginnen mit der Organisation des Festivals, das die Entwicklung eines im Vergleich zum Zentrum weniger vornehmen Stadtteils fördern sollte, beschäftigt waren, habe ich mit dem extravaganten Mann und der schillernden Frau getanzt, und mit einigen Kindern auch. Ich war wie verzaubert: Ich konnte mich bewegen, neue Menschen und ein neues Viertel der Stadt kennenlernen.

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- „Where can I dance tango in Lviv?“, fragte ich den Lehrer, etwas außer Atem.
- „Every Sunday, on the market square“, antwortete er sogleich.

- „Do I have to be accompanied?“ Diesmal ließ die Antwort länger auf sich warten. Hatte ich etwa einen faux pas begangen? Ich probierte es so: „Are there not enough men?“ Weiterhin Stille.

- „There are enough men, but they won’t dance with you. I mean, not with a stranger. I do, but they won’t...“, erwiderte er schließlich.

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Zwischen zwei Milongas schaute ich mich in der Umgebung um: Es gab Männer auf Fahrrädern, Jugendliche in abgeschnittenen Jeans, einige Alkoholiker, Familien, eine Dame, die manchmal in der Altstadt bettelte, und viele Kinder. Die Musik spielte immer noch. Ein betrunkenes Trio, zwei Männer und eine Frau, tanzte.

Später entdeckte ich auch die schmucken Häuschen vom Anfang des letzten Jahrhunderts, einen kleinen Wald, Geschäfte, die von starkem Weihrauchgeruch umgegebene Kirche mit Bauten aus der kommunistischen Zeit im Hintergrund. Ich habe in einem rustikal-schicken Restaurant gespeist, das mit dunklem Holz, Kacheln und Kristallleuchtern ausgestattet war. Eine meiner Kolleginnen hatte es als „normal“ bezeichnete. Ich wusste, was sie meinte; sein Inneres erinnerte an die Einrichtung meiner Wohnung im Zentrum der Stadt.

Meine Kolleginnen hatten all ihre dringenden Angelegenheiten erledigt. Das Wetter war angenehm und wir entschieden uns, zu Fuß in die Stadt zurückzukehren. Ich war immer noch wie verzaubert. Die wilde Zusammensetzung des Viertels, einige Kilometer vom historischen und touristischen Zentrum der Stadt entfernt, gefiel mir äußerst gut.

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Das Festival erstreckte sich über die ganze Woche vor dem Nationalfeiertag. Am darauffolgenden Tag nahm ich mit einer Gruppe von Mädchen an einer Rallye durch das Viertel teil. Auf den Spuren des Filmemachers Paradschanow, der dem Festival seinen Namen gegeben hatte, sind wir herumgelaufen, haben Indizien gesucht und mehr über die Geschichte des Viertels erfahren. Wir haben uns auch näher kennengelernt. Auf meine Frage: „Wo sind die Jungs?“, zuckten meine Mannschaftskolleginnen nur resigniert die Schultern.

Später stellte ich die Frage erneut; diesmal an Erwachsene. Die Männer, hieß es, spielen lieber Fußball, als an kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen. Als wir Richtung Stadtzentrum gingen, zogen mich die Kolleginnen in eine Restaurant-Bar unweit des Parks und des künstlichen Sees Lewandiwkas. Dort bestand das Publikum im Wesentlichen aus Männern. „Fußball macht wohl durstig“, dachte ich mir.

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- „Warst Du nochmal Tango tanzen?“ erkundigte sich meine Mutter am Telefon.
„Ich war hin- und hergerissen, stolz und neugierig zugleich. Am Ende bin ich doch hingegangen.“

- „Das freut mich. Zumindest konntest Du den Leuten beim Tanzen zugucken...“
- „Es hat geregnet... Es wurde nicht getanzt, diesmal nicht.“

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Während meiner Zeit in Lwiw hatte ich fast ausschließlich mit Frauen Kontakt. Zugegebenermaßen hatte ich viel mit Menschen aus dem Kulturbereich zu tun... Wie dem auch sei: Die wenigen Männer, mit denen ich mich unterhalten habe, waren entweder schwul, Ausländer oder Tangolehrer.

- „Du vergisst deinen alten Stalker, den von der Polizei,“ erinnerte mich meine Mutter (siehe: „Prost“: http://stadtschreiberin-lemberg.blogspot.com/2018/06/prost_18.html)

Ich fand es irgendwie schade, auch weil es sich als schwierig erwies, das Thema anzusprechen. Stets wurde die Stirn gerunzelt, immer, wenn ich den Versuch unternahm, die Situation jenseits meiner eigenen Person zu verstehen. Allem Anschein nach, war ich die Einzige, die sich dafür überhaupt interessierte.


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