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Samstag, 7. Juli 2018

Kopflose Frauen


Bei mir im Viertel, unweit vom Präsidenten [siehe Der versteinerte Präsident] sind sie da: die kopflosen Frauen.
Sie stehen den ganzen Tag an der Iwan-Franko-Straße und warten auf Kundschaft. Sie tragen stets weiß. Naja, vielleicht nicht ein ganz sauberes weiß. Es kann nicht anders sein: Es ist eine viel befahrene Straße, die Autos sind oft alt, es ist verschmutzt. Hätten sie einen Kopf würden sie husten. Eine Petition gegen Diesel können sie nicht unterschreiben, denn Arme haben sie auch nicht.

Es sind so viele! Es gibt zwar auch welche woanders in der Stadt, aber hier befinden sie sich in einer Menge konzentriert. Die Straße ist dafür bekannt. Die Masse steht hier wohlgemerkt nicht für billig. Nein. Hierher kommt man auch zum Schauen, bevor man kostengünstigere Varianten im Internet bestellt.
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Kopflose Gestalten findet man auch in Geschäften. Sie sind absolut sauber, makellos. Bei aller Vielfalt – mit Spitze (im Trend), Steinen (klassisch), Pailletten (glänzend), gestickt (traditionell) oder seltener mit Perlen geschmückt – sind sie stets lang (es muss sein). Eines fand ich hübsch. Es kostete 10 000 грн – etwa 325 Euros –, viel Geld für die hiesigen Gehälter.
„Wann kommen sie zum Einsatz?“ frage ich die Verkäuferin, die nach ihnen Ausschau hält. Man schließt bekanntlich den Bund der Ehe nicht so oft. „Auf Geburtstagen, Familienfeiern, Bällen“ ist ihre schlichte Antwort. Ach so, vielleicht wollen sie einmal, ein einziges Mal, getragen werden, wohl wissend, dass sie auf Fotos verewigt werden.
Im Geschäft sind wir – meine Begleiterin und ich – allein. Die Verkäuferin sagt, es sei nicht die Saison. Wir kaufen auch keine. Auf Bälle werden wir nie eingeladen und einen Blog zu schreiben, führt selten auf den roten Teppich.

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Die kopflosen Frauen sind alle so schlank. Meine Begleiterin macht sich Sorgen um die stabileren Frauen. Sind sie gar nicht vertreten? Und was ist mit Schwangeren – davon solle es so viele geben? Nach langer Suche, kommen wir ihnen auf die Spur: Sie befinden sich zwar nicht auf der Straße, im Schaufenster oder im „Showroom“, sondern in den hinteren Boutiquen und in den Kellern der langen Höfe. Da, vor neugierigen Blicken geschützt, werden sie justiert, breiter gemacht, angepasst.

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Es ist wahrhaftig eine Industrie. Ein Blick auf die Straße reicht, um es sich zu vergegenwärtigen. Die kopflosen Frauen ziehen Geschäfte nach ihnen: Schuhen, Blumen, Tischdekorationen, Fotoateliers.
Und ihre Männer? Hier sind sie weit und breit nicht zu sehen. „Vielleicht sind sie gerade anderswo, in eigenen Geschäften?“ wage ich als Erklärung. Meine Begleiterin scheint daran zu zweifeln. Sie schaut mich an und verdreht die Augen.