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Samstag, 21. Juli 2018

Zombie


Mit zwei Kollegen saß ich neulich in einem Café in der Altstadt Lwiws, da wo es die vielen Touristen gibt. Aus der Entfernung drang eine Melodie. Ich erkannte das Lied „Zombie“ von The Cranberries.
Während die Klänge ertönten, verlor ich kurz die Aufmerksamkeit; ich wurde wie in eine andere Zeit versetzt, über zwanzig Jahre zurück.
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Damals, in den 1990er Jahren, als „Zombie“ gerade in die Charts gekommen war und noch lange kein Klassiker der Popmusik war, schien das Leben irgendwie dramatischer, tragischer, auch improvisierter als heute. Die Wende war an der Grenze des Gestern, noch kein historisches Ereignis geworden; in Gesprächen war sie allgegenwärtig.

Das 1990er-Jahre-Gefühl, dass das Lied in mir hervorrief, empfinde ich auch in Lwiw heute. Die Melodie mischt sich mit vielfältigen sinnlichen Erfahrungen: dem Blick auf den dekadenten Charme der unrenovierten Altenbauten, dem architektonischen Erbe des Kommunismus und einem bestimmten Geruch. Er kommt vom Gebrauch von alten Autos, nicht von der Braunkohle. Weil sie hier ganz fehlte, haben die Gebäude der Stadt ihre sanften Farben erhalten.
Die 1990er Jahre sind in Lwiw nicht nur sinnlich wiedererstanden: Auch im Diskurs sind sie präsent. Die Intellektuellen der Stadt konstruieren noch das Erbe der Revolutionen, da wo sie anderswo abgelebte Epochen, historische Wirklichkeit bilden.
Weil ich den Wandel selber miterfahren habe, werde ich das Gefühl irgendwie nicht los, dass das Leben hier nicht so bleiben kann. Anders ausgedrückt: Es ist schön, hier zu sein, bevor sich alles ändern könnte. 

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Beim Abschied im Café schenkte mir ein Kollege eine CD. „Klassische Musik oder Jazz?“ fragte er. Ich nahm Jazz – klassisch gewordene Popmusik hatte er nicht dabei. Auf meinem Heimweg hörte und erblickte ich sie: Die junge Frau, die allein an einer Straßenecke, unter den an ihr vorbeihuschenden Touristen, Gitarre spielte. Sie stimmte abermals den bekannten Refrain an: „In your head, in your head, zombie, zombie, zombie, ei, ei…“ Ohne dass es ihr bewusst war, brachte sie Epochen und Sehnsüchte zusammen; sie ließ die 1990er Jahre wiedererwachen.