Freitag, 31. Mai 2019

Das neue Polen (Fortsetzung des Lwiw-Blogs)

Die Autorin versuchte mehrmals, sich bei einem Polnisch-Test an der Universität in Wrocław anzumelden. Vergeblich. Dann kam die Einladung einer akkreditierten Sprachschule aus Warschau. In der Hauptstadt verstand sie, wieso der Test so gefragt war und bekam einen Einblick in die Anwartschaft auf das neue Polen, die Anforderungen für einen Daueraufenthalt und der neuen Marktlage für Sprachschulen.

Wir waren 150 in einer Sporthalle, nochmal 150 im Speisesaal einer Schule im Zentrum Warschaus. Vor kleinen Schreibtischen, mit Nummern versehenen, orangefarbenen Bändern am Arm, saßen wir still da.

Davor mussten wir in einem engen Korridor verweilen. Manche redeten miteinander, vor allem auf Russisch oder Ukrainisch. Viele standen allein, etwas verkrampft. Ihren Handys beraubt, die sie am Eingang hatten abgegeben müssen, blieb uns neben Plakaten, die zu Sportangeboten einluden, nichts anderes übrig als uns gegenseitig zu beobachten.

Im Publikum waren beide Geschlechter vorzufinden. Die männliche Welt – weder alt noch jung, mit ansetzendem Bauch – war an diesem grauen Morgen in März besonders gut vertreten. Wir warteten alle auf den staatlichen Sprachtest in Polnisch (Niveau B1), der den Zugang zum Studium und zur Staatsbürgerschaft ermöglicht. Diesmal war es jedoch anders. Viele der an dem Tag Erscheinenden lebten schon seit Jahren im Land und hatten als Folge von im letzten Jahr in Kraft getretenen Änderungen des Ausländergesetzes einen Bescheid erhalten: Um einen Aufenthaltstitel zu erhalten, bzw. zu verlängern, sollten sie sich dieser Prüfung unterziehen.

Seit 2013 sind viele Menschen aus den benachbarten Ländern, vor allem aus der Ukraine, nach Polen gekommen. Nicht der Beitritt des Landes zur EU oder zum Schengen-Raum, sondern der Krieg zwischen der Ukraine und Russland und die schwierige wirtschaftliche Lage bei den östlichen Nachbarländern ist für die neue Migrationsbewegung verantwortlich. Viele halten sich nur kurzfristig zum Arbeiten auf, andere sind zum Studium gekommen, wieder andere sind bei internationalen Firmen beschäftigt oder haben hierzulande geheiratet.

Was ich hier machen würde, wurde ich auf Ukrainisch von einer jungen Frau gefragt. Wie sie sei ich keine EU-Bürgerin, ich lebte in Kanada, hätte aber keinen offiziellen Brief bekommen. „Ich mache die Prüfung bloß um mein Polnisch-Niveau zu testen“, erwiderte ich etwas schüchtern.

***

Tag 1: Hörverständnis, Grammatik, Textverständnis, Schreiben eines kurzen und eines langen Textes. Unsere Pässe wurden kontrolliert und danach wurden wir in die Halle gelassen. Die kühle Höflichkeit einer Frauenstimme erklärte das Verfahren und wies uns darauf hin, nicht voneinander abzuschreiben, denn: „Andere sind vielleicht nicht besser als Sie.“

Tag 2: Mündliche Prüfung. Die in sechs Gruppen aufgeteilten Teilnehmenden warteten vor den jeweils zugewiesenen Räumen. Wir hatten Zeit, uns auszutauschen. Samika, die neben mir auf der Bank saß, war nervös. Obwohl sie – wie ich fand – gut Polnisch reden konnte, wollte sie sich lieber auf Englisch unterhalten, einer Sprache in der sie sich inzwischen mehr zu Hause fühle als im muttersprachlichen Nepalesisch. Sie lebe seit acht Jahren in Warschau und frage stets, ob ihre Ansprechpartner Englisch können. Wenn es nicht anders ginge, spreche sie Polnisch. „Es wird von mir jedoch nicht erwartet“, beteuerte sie. „Den gestrigen Test?“ Schwierig fand sie ihn. Sie müsse fast nie schreiben. Und in ihrem Alter sei es seltsam, Schulbücher aufzuschlagen.

Witali, der auch auf der schmalen Bank wartete, stieg mit ins Gespräch ein. Er komme aus dem Donbass. Ob er Russisch spricht? „Ja, aber Ukrainisch auch“, fügte er hinzu. Er arbeite bei einer großen internationalen Firma, auf Englisch – auch mit Kanadiern. Polnisch lerne er in der Mittagspause im Unterricht der Sprachschule, die an diesem Tag die Prüfung durchführte.

Samika wurde aufgerufen. Als sie 30 Minuten später rauskam, ermutigten wir uns gegenseitig, gaben uns Tipps und versicherten uns, dass nur 50% aller Punkte nötig seien, um den Test, dessen Ergebnis noch ausstand, zu bestehen.

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Die Änderungen des Ausländergesetzes dienen zugleich als Integrationsmaßnahme eines Landes, das sich lange durch Auswanderung – nicht Einwanderung – zeichnete, Kontrolle des Arbeitsmarkts und Regulierung von Migration bei nicht EU-Bürgern. Objektiv betrachtet, treffen seine Kriterien nicht auf alle Teilnehmenden gleichermaßen zu. Die entstehenden Kosten – 150 Euro – belasten manche mehr als andere. Wie auch unter Muttersprachlern, fällt es nicht allen gleichermaßen leicht, in 90 Minuten ein kurzes Essay zu schreiben. Und diejenigen, die keine andere slawische Sprache beherrschen, haben es schwerer beim Verstehen und Reden als andere.

Trotz aller Unterschiede, fühlten wir uns in dem Moment als Teil einer kleinen, flüchtigen Gemeinschaft; den Anwärtern des neuen Polen.



- Die staatlichen Sprachteste in Polnisch finden dreimal im Jahr in verschiedenen Städten statt

- Teilnehmerzahl (9.-10. März 2019): 2092*


- Herkunftsstaaten der in Polen lebenden nicht EU-Bürger (1.1.2018): Ukraine, Russische Föderation, Belarus, Vietnam, USA**


Quellen:

* Sekretariat PKdsPZJPjO

** Agata Górny & Marta Kindler (2018). „Cudzoziemcy w Polsce na przełomie XX i XXI wieku”, in: Magdalena Lesińska & Marek Okólski (Hrsg.), 25 wykładów o migracjach (S. 221–234). Warszawa: Wydawnictwo Naukowe SCHOLAR.

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