In einem Restaurant sprach mich eine Frau an,
die sich gerade mit ihrer Familie in Lwiw aufhielt. Sie kamen aus Iași, Rumänien. Weil sie zwei Tage
Vorsprung hatten – ich war vor zwei Tagen angekommen –, fragte ich, was ich mir
in der Stadt anschauen sollte. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Die
Kirchen, unbedingt!“ Iași ist in
diesem Punkt auch ein guter Ort, merkte ich.
Nicht so, als ob Religion sich auf religiöse Gebäude
reduzieren ließe. Religion scheint auch außerhalb der Kirchen präsent zu sein. Im
Stadtzentrum stehen junge und alte Frauen, Männer auch, die Hände zum Gebet
gefaltet oder kniend, vor einer Statue Marias und einem weißen Kreuz an einer
viel befahrenen Kreuzung. Fußgängermassen gehen an ihnen vorbei. Niemand schaut
hin – überhaupt scheint wenig in Lwiw geschaut zu werden.
Bei einem Poesie-Abend in einer Bar trägt
eine der Dichterinnen ein T-Shirt, so wie viele Frauen in Deutschland es auch gern
tragen, mit Marinefarben, goldenen Tönen und pflanzenähnlichen Mustern. Nur hat
sie Christus auf dem Rücken. Neben anderen Themen wird über Religion an diesem
Abend mit einem gewissen Pathos gedichtet. Religion wird auch einverleibt.
Eine Frau, die Lwiw gut kennt, sagt, sie wüsste,
wo man solche T-Shirts kaufen kann. Ich werde dort hingehen.
***
Männer stehen davor, viele sind schon drinnen,
vor einem kleinen Fenster mit Gitter. Es ist abends, schon spät. Was ist das?
Ein Wettbüro? Nein, ein Lombard, ein Pfandgeschäft. Ich brauche noch ein
Messer, eine Teekanne, einen Flaschenöffner. Ich werde dort hingehen.
***
Sie arbeitet in einer Abteilung der Stadt. Dort
sollten Geschlechterfragen demnächst Thema werden. Von welchem Gesichtspunkt
sollte man die Sache angehen? Oft wird sie als „question of dignity“ betrachtet,
fügt sie hinzu. Sie suchen eine Soziologin. Ob ich hingehen würde?
Selbstverständlich.
***
Im Kulturpalast sitzt die Frau, die Lwiw gut
kennt, wenn sie nicht in Sachen Kulturdiplomatie unterwegs ist. Was für ein
Gebäude! In den 1930er Jahren für städtische ArbeiterInnen gebaut,
modernistisch, aus roten Backsteinen, mit Marmor in allen Farben, Parkett mit
Motiven, alles unglaublich verwinkelt. Dort gibt es einen Konzertsaal mit riesigem
Kronleuchter, ein ehemaliges Kino im Keller, das mal ein Nightclub beherbergte
und nun gelegentlich der Poesie gewidmet wird, einen
Tanzsaal mit rosa Vorhängen. Ob Salsa getanzt wird? „Nein, eher traditionelle
Tänze.“ Ok. Die Frau im Vorzimmer hört Delfinmusik
und sagt, dass die Chefin gerade nicht im Haus ist. Ich werde noch mal
hingehen.
1 Kommentare:
Sehr interessanter Text! Sie schreiben mit einem solchen Naturalismus, dass man sich in Lemberg glauben könnte.
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