Die Katzenfrau
Sie hat eine Mission, einen wichtigen Auftrag
zu erfüllen: Sie füttert die herrenlosen, herumstreunenden Katzen der Stadt. Auch
sorgt sie dafür, dass sie kastriert werden und gesund bleiben. Eine Chronik zum
Tierschutz beim lokalen Radiosender hat sie gehabt. Sie ist die Katzenfrau
Lwiws.
Zuhause kann
sie die Allergiker unter den Soziologen nicht empfangen, denn Katzen hat sie in der
Wohnung viele, über zwanzig wird spekuliert.
Wir treffen
uns an einem geheimen Ort. Dort pflegt sie neun Katzen. Ich verrate den Namen des
Ortes nicht, da ich der Katzenfrau keinen Schaden zufügen möchte. Auf einen
Spendenaufruf verzichte ich damit ebenso. Die Katzenfrau wird nämlich oft erpresst.
So soll eine Frau sie angerufen haben und sie bedroht haben: „Ab Morgen bin ich
in Rente. Ich komme nicht mehr zum Ort XYZ. Wenn du die Katzen nicht fütterst,
hast du sie auf dem Gewissen.“ Solche Bedrohungen bekäme die Katzenfrau öfter.
Kein Wunder, dass sie nicht gerne ans Telefon oder an die Tür geht.
Wenn Sie sich
vorstellen, dass die Katzenfrau komisch ist, irren Sie sich. Sie ist
menschenfreundlich, offen, normal. Nur die Tasche mit Futter und Katzenleckerli
mag sie verraten, und dass sie selten in den Urlaub fährt.
Die Kreuzfrau
Aus dem Inneren der Kirche nimmt sie unseren Anruf
entgegen. Sie kommt raus und erzählt von einer Mission, die es zu erfüllen gilt:
Das Land vom Bösen zu retten. Zum Glück ist sie nicht allein. Es sind andere,
die ihr zur Seite stehen. Sie ist die Kreuzfrau Lwiws.
Vor den
Präsidentschaftswahlen im Jahre 2004 hat sie, zusammen mit Gleichgesinnten, ein
Holzkreuz gebaut und es neben der Mutter Gottes – von der der Auftrag wohl kam –
unweit vom Adam-Mickiewicz-Platz aufgestellt.
Seitdem
sind viele Wunder und heroische Taten geschehen – das Kreuz wurde bis zum Maidan in Kiew
transportiert, zum Teil auf dem Rücken getragen, irgendwann von Aktivistinnen abgesägt,
später wieder aufgebaut. Dort soll es auch geblutet haben.
Heute
sind die Unruhen im Land nicht ganz vorbei, aber es geht wieder einigermaßen.
So ist die Kreuzfrau in der Kirche. Eine Katze hat sie bestimmt nicht, denn sie
ist viel unterwegs, auch im Ausland: Sie pilgert von einem Ort zum Nächsten. Sie
organisiert und fordert Menschen auf, mit ihr auf Pilgerreise zu gehen. Sie ist eine Unternehmerin des Glaubens.
Für
diejenigen, die in der Stadt bleiben müssen, ist das Gelände um das Holzkreuz
ein Mini-Pilgerort. Dort trifft man stets einzelne
Männer mit Kurzhaarfrisuren und umgehängten Taschen sowie Frauen aller Haarlängen
– je älter, desto kürzer. Sie stellen sich vor das Kreuz, beten und bekreuzigen sich; manche küssen es. Manchmal gibt es auch Gruppen, mit Flaggen und Megaphonen.
Eine
Genehmigung von der Stadt gab es für das Kreuz wohl nie,
aber wer würde schon auf die Idee kommen, es zu thematisieren? Sogar diejenigen,
die an die Kraft des Kreuzes zweifeln, wollen das Schicksal nicht unbedingt herausfordern.
Wenn
sie sich vorstellen, dass die Kreuzfrau komisch ist, irren Sie sich. Sie ist eloquent,
beschäftigt, normal. Sie redet viel und gerne. Nach einer bestimmten Zeit zieht
sie schnell ein Tuch über den Kopf und geht mit raschem Schritt wieder in die
Kirche, um einen höheren Anruf entgegenzunehmen.
Die Dichter
Wir laufen auf einer Straße in der Altstadt.
Sie kennt alle, so kommt es mir vor. „Der da ist Dichter“, sagt sie, als ob es
das Normalste der Welt wäre. Ein paar Minuten später passiert es zu meinem
Erstaunen wieder: „Er ist ein Dichter aus Lwiw“. Und nochmals: „Sie ist eine
wichtige Lyrikerin.“ Wir stehen und unterhalten uns noch mit einem Mann, der nebenbei
erwähnt: „Ich habe damals ein Gedichtband veröffentlicht.“
Ich sitze bei
einer Lesung und höre mir die Dichter an. Manche sind ziemlich pathetisch, aber es
scheint nur mich zu stören. Es geht um das Land, die Sprache, auch um Religion.
Die meisten Dichter sind allerdings modern und mit anderen Themen beschäftig;
sie arbeiten nicht unbedingt mit Reimen. Bei aller Unterschiedlichkeit haben
sie eine höhere Mission: Die Kunst, die Sprache. Wenn sie ihre Gedichte
vorlesen, habe ich – wie bei der Kreuzfrau – manchmal den Eindruck, dass ich ihre
mir noch unbekannte Sprache verstehe.
Sichtlich
brauche ich Nachhilfe. Freunde und Bekannte wollen mir helfen. So bekomme ich eine
große Zahl von Büchern, Sammlungen, schön gebunden, in vielen Sprachen übersetzt.
Auf meinem Schreibtisch entsteht eine bunte Sammlung von Texten. Ich lese sie
und stelle fest, dass ich bei den Feuilletonisten, die ich so gerne lese, die
Gedichte und Lieder immer übersprungen habe. Bei Tucholsky war mir Peter Panter
immer lieber als Theobald Tiger.
Es liegt
bestimmt an mir, denke ich, Soziologin und Hobby-Belletristin. Ich entscheide
mich also, den Literaten unter meinen Freunden, Bekannten und Verwandten in
Montréal zu schreiben. Ich will die hiesige Lage besser einschätzen. Wenn Sie
sich vorstellen, dass Dichter auf der anderen Seite des Atlantiks komisch betrachten
werden, dann irren Sie sich nicht. Alle sind sich einig: „c’est étrange!“
Ich habe weder eine Katze adoptiert, noch eine Pilgerfahrt unternommen, aber auf einer Abendveranstaltung habe ich inzwischen selbst etwas
vorgelesen. Gott o Gott!
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