An der Universität in Montréal wollte mal eine Fotografin
ein Bild von mir machen. „Machen Sie bitte den Kopf gerade. Nein, gerade. Sie
machen es immer noch.“ Als ich mich wehrte und behauptete, dass ich es nicht täte,
erwiderte sie sachlich: „Doch, Frauen machen‘s, wenn sie fotografiert werden: Sie
stellen den Kopf leicht zur Seite.“ Das hätte ich lieber nicht gewusst, denn
seitdem sehe ich geneigte Köpfe überall.
Wenn sie bestimmt kein anthropologisches Universell ist, ist diese
Gewohnheit mindestens Teil eines globalen Trends. In Lwiw gibt es sie auch, die
geneigten Köpfe. Seit ich sie etwas widerwillig sehe, beobachte ich auch folgendes
bei Laien-Fotoshootings: geschmollte
Münder, sexy Augen, einen leicht
gehobenen oder – wie bei einer Ballerina – gespitzten Fuß. Die Haare scheinen
auch ganz wichtig zu sein. Es gibt eine besondere Geste, die Frauen machen, um
die Haare auf die Seite zu schieben, aber ich steige noch nicht ganz durch. Auch
diejenige, die diese Gewohnheiten belächeln, beherrschen oft selbst die Kunst
des Haare-zur-Seite-schieben. Ob sie es merken? Nein, nicht immer, aber
manchmal schon. Die Anleitungen zum Fotoshooting, die auf YouTube zu finden
sind, deuten darauf hin.
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Wenn Lwiw eine Person wäre, wäre sie eine Instagrambeauty. Sie ist ja sehr fotogen,
sehr vintage. Ihr Filter wäre „Crema“, ein warmes Gelb. Kein Wunder, dass die
Stadt als Kulisse für Filme dient und zu diesem Zweck eine Kommission ins Leben
gerufen wurde. Eine
Konkurrentin ist Prag, eine andere „instagramble“ Stadt. Dort reisen Bräute und
Bräutigame aus aller Welt hin, um ihre Hochzeitsfotos zu shooten. Lwiw ist in
dieser Hinsicht noch nicht so international bekannt, aber nichtsdestotrotz wird
viel geheiratet und reichlich fotografiert. Neben Paaren in der Altstadt sind schwangere Frauen im Strysky
Park, Freundinnen auf dem Schewtschenko-Boulevard, glückliche Babys im Gras, junge
Models in Türrahmen zu erblicken.
Viele von diesen Fotos findet man später auf sozialen Medien.
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Bei öffentlichen Kulturveranstaltungen sind Kameras
allgegenwärtig und live streams üblich: Wie in einem Spiegel kann sich das
Publikum bei Lust und Laune selbst live während Veranstaltungen auf Telefone anschauen.
Überhaupt läuft, so kommt es mir zu mindestens vor, das
Leben mehr online hier als in Montréal oder Berlin. Eingekauft wird viel im
Netz, geflirtet wird mitunter über Klicks auf Facebook und Herzen auf Instagram.
Sogar Drogen werden nicht auf der Straße verkauft, sondern online bestellt –
die Internet-Adressen der Anbieter werden an Häuserwände mit Farben gesprüht.
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Es war mal ein kleines Hobby von mir: Ich machte Screenshots
von Posts auf Facebook, von meinen Freude mit schmollendem Mund oder Kollegen mit
leicht gehobenem Fuß. Nun werde ich auf Facebook getaggt, wenn ich hier an
Veranstaltungen teilnehme. Mein Hobby ist keins mehr. Und oft muss ich an die
Fotografin in Montréal und ihre Mahnung – „Machen Sie bitte den Kopf gerade“ – denken. Es ist ziemlich
anstrengend, ständig aufzupassen, dass der Kopf nicht geneigt ist.
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