Samstag, 28. Juli 2018

Instagrambeauties


An der Universität in Montréal wollte mal eine Fotografin ein Bild von mir machen. „Machen Sie bitte den Kopf gerade. Nein, gerade. Sie machen es immer noch.“ Als ich mich wehrte und behauptete, dass ich es nicht täte, erwiderte sie sachlich: „Doch, Frauen machen‘s, wenn sie fotografiert werden: Sie stellen den Kopf leicht zur Seite.“ Das hätte ich lieber nicht gewusst, denn seitdem sehe ich geneigte Köpfe überall.
Wenn sie bestimmt kein anthropologisches Universell ist, ist diese Gewohnheit mindestens Teil eines globalen Trends. In Lwiw gibt es sie auch, die geneigten Köpfe. Seit ich sie etwas widerwillig sehe, beobachte ich auch folgendes bei Laien-Fotoshootings: geschmollte Münder, sexy Augen, einen leicht gehobenen oder – wie bei einer Ballerina – gespitzten Fuß. Die Haare scheinen auch ganz wichtig zu sein. Es gibt eine besondere Geste, die Frauen machen, um die Haare auf die Seite zu schieben, aber ich steige noch nicht ganz durch. Auch diejenige, die diese Gewohnheiten belächeln, beherrschen oft selbst die Kunst des Haare-zur-Seite-schieben. Ob sie es merken? Nein, nicht immer, aber manchmal schon. Die Anleitungen zum Fotoshooting, die auf YouTube zu finden sind, deuten darauf hin.
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Wenn Lwiw eine Person wäre, wäre sie eine Instagrambeauty. Sie ist ja sehr fotogen, sehr vintage. Ihr Filter wäre „Crema“, ein warmes Gelb. Kein Wunder, dass die Stadt als Kulisse für Filme dient und zu diesem Zweck eine Kommission ins Leben gerufen wurde. Eine Konkurrentin ist Prag, eine andere „instagramble“ Stadt. Dort reisen Bräute und Bräutigame aus aller Welt hin, um ihre Hochzeitsfotos zu shooten. Lwiw ist in dieser Hinsicht noch nicht so international bekannt, aber nichtsdestotrotz wird viel geheiratet und reichlich fotografiert. Neben Paaren in der Altstadt sind schwangere Frauen im Strysky Park, Freundinnen auf dem Schewtschenko-Boulevard, glückliche Babys im Gras, junge Models in Türrahmen zu erblicken. Viele von diesen Fotos findet man später auf sozialen Medien.

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Bei öffentlichen Kulturveranstaltungen sind Kameras allgegenwärtig und live streams üblich: Wie in einem Spiegel kann sich das Publikum bei Lust und Laune selbst live während Veranstaltungen auf Telefone anschauen.
Überhaupt läuft, so kommt es mir zu mindestens vor, das Leben mehr online hier als in Montréal oder Berlin. Eingekauft wird viel im Netz, geflirtet wird mitunter über Klicks auf Facebook und Herzen auf Instagram. Sogar Drogen werden nicht auf der Straße verkauft, sondern online bestellt – die Internet-Adressen der Anbieter werden an Häuserwände mit Farben gesprüht.
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Es war mal ein kleines Hobby von mir: Ich machte Screenshots von Posts auf Facebook, von meinen Freude mit schmollendem Mund oder Kollegen mit leicht gehobenem Fuß. Nun werde ich auf Facebook getaggt, wenn ich hier an Veranstaltungen teilnehme. Mein Hobby ist keins mehr. Und oft muss ich an die Fotografin in Montréal und ihre Mahnung – „Machen Sie bitte den Kopf gerade“ denken. Es ist ziemlich anstrengend, ständig aufzupassen, dass der Kopf nicht geneigt ist.




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