Samstag, 28. Juli 2018

Instagrambeauties


An der Universität in Montréal wollte mal eine Fotografin ein Bild von mir machen. „Machen Sie bitte den Kopf gerade. Nein, gerade. Sie machen es immer noch.“ Als ich mich wehrte und behauptete, dass ich es nicht täte, erwiderte sie sachlich: „Doch, Frauen machen‘s, wenn sie fotografiert werden: Sie stellen den Kopf leicht zur Seite.“ Das hätte ich lieber nicht gewusst, denn seitdem sehe ich geneigte Köpfe überall.
Wenn sie bestimmt kein anthropologisches Universell ist, ist diese Gewohnheit mindestens Teil eines globalen Trends. In Lwiw gibt es sie auch, die geneigten Köpfe. Seit ich sie etwas widerwillig sehe, beobachte ich auch folgendes bei Laien-Fotoshootings: geschmollte Münder, sexy Augen, einen leicht gehobenen oder – wie bei einer Ballerina – gespitzten Fuß. Die Haare scheinen auch ganz wichtig zu sein. Es gibt eine besondere Geste, die Frauen machen, um die Haare auf die Seite zu schieben, aber ich steige noch nicht ganz durch. Auch diejenige, die diese Gewohnheiten belächeln, beherrschen oft selbst die Kunst des Haare-zur-Seite-schieben. Ob sie es merken? Nein, nicht immer, aber manchmal schon. Die Anleitungen zum Fotoshooting, die auf YouTube zu finden sind, deuten darauf hin.
 
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Samstag, 21. Juli 2018

Zombie


Mit zwei Kollegen saß ich neulich in einem Café in der Altstadt Lwiws, da wo es die vielen Touristen gibt. Aus der Entfernung drang eine Melodie. Ich erkannte das Lied „Zombie“ von The Cranberries.
Während die Klänge ertönten, verlor ich kurz die Aufmerksamkeit; ich wurde wie in eine andere Zeit versetzt, über zwanzig Jahre zurück.
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Damals, in den 1990er Jahren, als „Zombie“ gerade in die Charts gekommen war und noch lange kein Klassiker der Popmusik war, schien das Leben irgendwie dramatischer, tragischer, auch improvisierter als heute. Die Wende war an der Grenze des Gestern, noch kein historisches Ereignis geworden; in Gesprächen war sie allgegenwärtig.

Das 1990er-Jahre-Gefühl, dass das Lied in mir hervorrief, empfinde ich auch in Lwiw heute. Die Melodie mischt sich mit vielfältigen sinnlichen Erfahrungen: dem Blick auf den dekadenten Charme der unrenovierten Altenbauten, dem architektonischen Erbe des Kommunismus und einem bestimmten Geruch. Er kommt vom Gebrauch von alten Autos, nicht von der Braunkohle. Weil sie hier ganz fehlte, haben die Gebäude der Stadt ihre sanften Farben erhalten. 

Donnerstag, 19. Juli 2018

„C’est étrange!“


Die Katzenfrau

Sie hat eine Mission, einen wichtigen Auftrag zu erfüllen: Sie füttert die herrenlosen, herumstreunenden Katzen der Stadt. Auch sorgt sie dafür, dass sie kastriert werden und gesund bleiben. Eine Chronik zum Tierschutz beim lokalen Radiosender hat sie gehabt. Sie ist die Katzenfrau Lwiws.

Zuhause kann sie die Allergiker unter den Soziologen nicht empfangen, denn Katzen hat sie in der Wohnung viele, über zwanzig wird spekuliert.

Wir treffen uns an einem geheimen Ort. Dort pflegt sie neun Katzen. Ich verrate den Namen des Ortes nicht, da ich der Katzenfrau keinen Schaden zufügen möchte. Auf einen Spendenaufruf verzichte ich damit ebenso. Die Katzenfrau wird nämlich oft erpresst. So soll eine Frau sie angerufen haben und sie bedroht haben: „Ab Morgen bin ich in Rente. Ich komme nicht mehr zum Ort XYZ. Wenn du die Katzen nicht fütterst, hast du sie auf dem Gewissen.“ Solche Bedrohungen bekäme die Katzenfrau öfter. Kein Wunder, dass sie nicht gerne ans Telefon oder an die Tür geht.

Wenn Sie sich vorstellen, dass die Katzenfrau komisch ist, irren Sie sich. Sie ist menschenfreundlich, offen, normal. Nur die Tasche mit Futter und Katzenleckerli mag sie verraten, und dass sie selten in den Urlaub fährt. 

Samstag, 7. Juli 2018

Kopflose Frauen

Bei mir im Viertel, unweit vom Präsidenten [siehe Der versteinerte Präsident] sind sie da: die kopflosen Frauen.

Sie stehen den ganzen Tag an der Iwan-Franko-Straße und warten auf Kundschaft. Sie tragen stets weiß. Naja, vielleicht nicht ein ganz sauberes weiß. Es kann nicht anders sein: Es ist eine viel befahrene Straße, die Autos sind oft alt, es ist verschmutzt. Hätten sie einen Kopf würden sie husten. Eine Petition gegen Diesel können sie nicht unterschreiben, denn Arme haben sie auch nicht.

Es sind so viele! Es gibt zwar auch welche woanders in der Stadt, aber hier befinden sie sich in einer Menge konzentriert. Die Straße ist dafür bekannt. Die Masse steht hier wohlgemerkt nicht für billig. Nein. Hierher kommt man auch zum Schauen, bevor man kostengünstigere Varianten im Internet bestellt.

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